#Bauernhofpädagogin Charlotte Schlichting: Einsatz für größeres Bewusstsein einer tierfairen Haltung

Im Gespräch mit…

Charlotte Schlichting vom Vorwiesenhof Schlichting

Wir freuen uns, Ihnen heute einen ganz besonderen Gesprächspartner vorstellen zu dürfen: Charlotte Schlichting vom Vorwiesenhof Schlichting. Seit zwei Jahren bietet der Vorwiesenhof Kindern und Erwachsenen einen praxisorientierten Zugang zur Natur und den hofeigenen Tieren. In einer Kombination aus traditioneller Landwirtschaft mit Ackerbau und Nutztierhaltung sowie modernen und nachhaltigen Methoden ist der Vorwiesenhof eine Anlaufstelle, um an Förder- und Erhaltungsmaßnahmen teilzunehmen und sich über die Herkunft nachhaltiger Nahrungsmittel sowie den respektvollen Umgang mit Tieren zu informieren.

Mit Frau Schlichting bekommen wir einen tiefen Einblick in die tägliche Arbeit auf dem Hof. Besonders hervorzuheben sind hier die verschiedenen Projekte in ihrer Rolle als erfahrene Bauernhofpädagogin. Gemeinsam mit Elisabeth Schlichting vermittelt sie mit viel Leidenschaft und Engagement Wissen über ethische Tierhaltung, ökologische Landwirtschaft und das Leben auf einem Bauernhof. Wir sprechen mit ihr über die Notwendigkeit, Kindern und Erwachsenen die Verbindung zu Tieren und Natur näherzubringen. Zudem erhalten wir einen Einblick in ihre Arbeit als Physiotherapeutin mit einer Zusatzqualifikation zur Fachkraft für tiergestützte Intervention.

TierFair.de: Guten Tag, Frau Schlichting. Wir freuen uns sehr, dass Sie sich die Zeit nehmen, uns einen Einblick in Ihre Arbeit auf dem Vorwiesenhof zu geben. Sie betreiben sowohl Ackerbau als auch Nutztierhaltung und bezeichnen sich selbst als „kuhverrückt“. Wie kommt das? Was fasziniert Sie an Kühen?

Charlotte Schlichting: Entstanden ist es dadurch, dass ich mit dem landwirtschaftlichen Betrieb meiner Eltern aufgewachsen bin und wir auch Kühe gehalten haben. Mein Bruder hat das Traktorfahren mehr gereizt, mich hat man aber immer im Stall gefunden. Daran hat sich auch bis ins Erwachsenenalter nichts geändert. Ein Bauernhof ohne Tierhaltung – die Tierhaltung auf Bauernhöfen ist leider ja auch negativ im Gespräch – aber für mich gehören Bauernhof und Tierhaltung unabdingbar zusammen. In meinem Fall waren und sind es die Kühe.

TierFair.de: Die Bindung zwischen Menschen und Tieren spielt eine zentrale Rolle in Ihrer Arbeit. Wie wichtig ist es für Sie, den Menschen den respektvollen Umgang mit Tieren und der Natur näherzubringen? Was erhoffen Sie sich von dieser Vermittlung?

Kuhfütterung als Teil der Bauernhofpädagogik
(c) Charlotte Schlichting

Charlotte Schlichting: Für mich hat das oberste Priorität. Es ist immer vergleichbar mit einer Dreiecksbeziehung. Man kennt das vielleicht von einem Arztbesuch oder dem Besuch bei einem Physiotherapeuten, nur um ein paar Beispiele zu nennen. Dort trifft immer ein Patient auf einen Diensthabenden. Bei uns kommt noch eine dritte Komponente hinzu – das ist der tierische Ko-Therapeut. Das ist für mich eine große Chance, denn Betriebe sowie das Gesundheitssystem stoßen an ihre Grenzen. Der respektvolle Umgang ist dringend nötig, denn nur damit kann es funktionieren. Wir Menschen tendieren ja leider dazu, Dinge zu sagen, die wir nicht so meinen oder die nicht dazu gehören. Das ist bei Tieren nicht so. Wenn diese etwas nicht wollen oder wenn sie sich nicht wohlfühlen, dann spiegeln die das wieder. Das ist für ganz unterschiedliche Klienten, wie eine Demenzgruppe oder Kinder mit ADHS, super. Die kennen ja oftmals nur: Nein, mach dies oder jenes nicht. Tiere schaffen es durch nonverbale Kommunikation. Ohne respektvollen Umgang auf Augenhöhe haben wir keine Chance, mit den Tieren zusammenzuarbeiten.

TierFair.de: Sie sind gemeinsam mit Elisabeth Schlichting Bauernhofpädagoginnen. Können Sie uns Ihre Arbeit etwas näher erklären?

Charlotte Schlichting: Die Bauernhofpädagogik oder die soziale Landwirtschaft hat ein ganz breites Spektrum. Neben der Öffentlichkeitsarbeit ist die Frage immer: Was erhoffe ich mir von dem Einsatz des Tieres? Aber auch, welchen Mehrwert hat er für das Kind und für das Tier? Das kann keine einseitige Schiene sein und muss für alle Seiten positiv behaftet sein. Unsere Tiere haben auch unterschiedliche Charaktereigenschaften und ich weiß genau, welche Kuh angefasst werden mag und welche nicht. Das ist eine Grundvoraussetzung. Danach stellt sich eben die Frage: Geht es um klassische tiergestützte Intervention, um Biografiearbeit, um Aktivierung bei Depressionen oder geht es um die Strukturierung von Kindern mit ADHS? Für zielführendes Arbeiten ist es absolut notwendig, dass ich vorher klar definiere, was das Ziel für beide Seiten ist. Salopp gesagt ist es also nicht nur zu sagen: „Ich geh mal über den Bauernhof und streichle eine Kuh.“

TierFair.de: Sie arbeiten mit Kindern und Erwachsenen, mit und ohne Handicap. Was sind die größten Herausforderungen, wenn es darum geht, Kindern den Umgang mit Tieren und der Natur beizubringen?

Charlotte Schlichting: Die große Herausforderung ist es, dass wir in einer Gesellschaft leben, die alles verfügbar hat. Sei es Kleidung, Elektronik oder sonstiges. Das Problem dabei ist auch, dass viele Kinder das bekommen, das sie wollen. Das klassische Beispiel ist es, dass mir eine Mutter auf Instagram folgt und dort sieht, dass bei der Geburtstagsfeier von einem Kind ein Kälbchen geboren wurde. Das will sie jetzt auch unbedingt für ihr Kind. Aber das geht nicht. Ich kann jede Kuh noch so lieb fragen, aber es ist nicht immer möglich. Es gibt Dinge, die erwartet werden, aber nicht in meiner Macht liegen. Das gibt es auch in verschiedenen anderen Bereichen, zum Beispiel im Thema Ernte. Es kann passieren, dass eine Ernte geplant ist und es am Vorabend hagelt, die Ernte zerstört ist und es nichts mehr zu ernten gibt. Ein anderes Beispiel wäre ein geplantes Lagerfeuer, aber es regnet so stark, dass wir keins zustande bekommen. Es muss ein Bewusstsein geschaffen werden, nicht wie frontal in der Schule, wo man sagt, das und das musst du jetzt lernen, sondern dass es Kreisläufe sind und es gewisse Dinge von anderen Faktoren abhängen. Wir leben zwar in einem Zeitraum, in dem viel möglich ist, aber es gibt Gott sei Dank auch noch Grenzen. So kann auch mal ein Tier sagen: „Heute habe ich überhaupt keine Lust“ und das respektieren wir dann auch. Das ist in unserer Gesellschaft aktuell sehr schwierig.

TierFair.de: Sie sind nicht nur eine „kuhverrückte“ Bauernhofpädagogin, sondern auch Physiotherapeutin mit der Zusatzqualifikation zur tiergestützten Therapie. Wie und welche Tiere integrieren Sie in Ihre Arbeit?

Charlotte Schlichting: Wir haben für die tiergestützte Arbeit auch noch Hühner und Schafe. Die haben auch keinen klassischen Nutztiersinn, also das Schaf wird nicht zur Wollproduktion und die Hühner werden nicht geschlachtet. Wir halten die Tiere aus dem Grund, da wir möglichst viele Menschen ansprechen wollen. Jeder, der schon mal vor einer Kuh mit etwa 450 Kilogramm gestanden ist, weiß, dass sie sehr groß sind. Auch wenn ich „kuhverrückt“ bin, kann ich nicht erwarten, dass es alle sind, vor allem nicht bei Menschen, die an einen Rollstuhl gebunden sind. Wenn ich nicht so gut zu Fuß bin und vielleicht auch einen Rollator benutzen muss, können sie ganz schnell bedrohlich wirken. Deshalb war es für uns sehr schnell klar, dass wir uns da breiter aufstellen müssen.

(c) Charlotte Schlichting

TierFair.de: Haben denn die Hühner und Schafe einen anderen therapeutischen Hintergrund?

Charlotte Schlichting: Ja, auf jeden Fall. Das kann man gar nicht miteinander vergleichen und sehr stark beobachten. Unterschiedliche Tiere ziehen ganz unterschiedliche Personen an. Wenn man eine Kuh betrachtet, die groß, gemütlich und verlangsamend wirkt, widerkaut und einfach sehr präsent ist, zieht sie andere Menschen an, als Hühner, die den ganzen Tag wild herumflattern, scharren und allgemein viel Action haben. Die Menschen wählen sich selbst die Tiere aus, die entweder der Gegenpart von dem sind, wie sie selbst, oder Tiere, die sie ganz besonders faszinieren. Jeder Mensch braucht unterschiedliche Dinge. Der eine braucht vielleicht die wiederkauende langsame Kuh, für den anderen ist es viel zu langsam. Darüber gibt es auch Studien, die belegen, dass Rassen für unterschiedliche Aktivitäten besser geeignet sind. Ich bin aber auch der Überzeugung, dass es auf den Charakter des Tieres ankommt, der genauso differenziert betrachtet werden muss wie der des Menschen. Für mich spielt aber auch die Haltung eine größere Rolle als die Rasse. Also wie wachsen die Tiere auf? Sind sie menschlichem Kontakt gewohnt oder kennen sie das nicht?

TierFair.de: Wie reagieren die Personen auf diese spezielle Form der Therapie und die Tiere?

Charlotte Schlichting: Es ist faszinierend zu beobachten. Bei älteren Menschen wird ganz stark der Bezug zur Landwirtschaft, vielleicht durch ihre eigene Kindheit, sehr deutlich. Bei den Jüngeren hatte ich schon das Glück, dass einige wiedergekommen sind, die ganz viel vom letzten Besuch mitgenommen haben und viel mehr Wissen. Kinder sehen das aber nicht so, dass sie hier sind, um etwas zu lernen. Bei ihnen geschieht das Ganze spielerisch, durch das Machen. Sie sind dann im Nachhinein ganz stolz, wenn sie sagen: „Den Kürbis hab ich ausgesät“ oder „Das Kälbchen ist geboren, als ich da war.“ Durch solche Sachen stellen sie einen Bezug her, was auch das Ziel der tiergestützten Arbeit ist. Natürlich wollen wir Chancen für die Menschen schaffen, aber auch Landwirtschaft und Tierhaltung zeigen. Dass eben nicht alles gut oder alles schlecht ist. Man kann fünf Kühe gut oder schlecht halten und das gleiche gilt bei 500 Tieren. Aus meiner Sicht ist es immer leichter, mit den Menschen in Kontakt zu kommen. Natürlich ist das über Social Media mit Abstrichen auch möglich, aber jemand, der selbst eine Reihe Spargel gestochen hat, der beschwert sich nicht mehr über den Preis pro Kilogramm, weil er einfach einen Bezug dazu hat. Das Gleiche lässt sich eben auch auf Tiere übertragen.

TierFair.de: Nun zu einer persönlichen Frage: Was wünschen Sie sich für die Zukunft des Tierschutzes und der Arbeit mit Tieren?

Charlotte Schlichting: Ich wünsche mir vor allem ein größeres Bewusstsein. Ich denke, in Deutschland gibt es für alles so viele Gesetze, Regeln und Bürokratie. Trotzdem sind gewisse Dinge nicht selbstverständlich und ich finde, jeder Mensch kann einen Beitrag zum Tier-, Arten- und Klimaschutz leisten, wenn er einfach bei seinem Einkauf aufpasst und schaut: Wo kommen die Produkte her? Wie werden die Tiere dort gehalten? Ich wünsche mir da ein größeres Bewusstsein, nicht nur von der Politik, sondern von jedem Einzelnen. Ich wünsche mir, dass jeder sagt: „Ich will, dass die Tiere auf der Weide laufen“ und das auch sagt, wenn er sich im Supermarkt für oder gegen ein Produkt entscheidet. Außerdem finde ich es wichtig, dass wir miteinander sprechen. Gerade in der Entwicklung mit der veganen und vegetarischen Ernährungsweise. Da ist in meinen Augen nicht immer schwarz und weiß richtig. Jeder Mensch hat, gerade weil Tiere keine Stimme haben, eine eigene Verantwortung für sein Handeln.

TierFair.de: Frau Schlichting, ich bedanke mich ganz herzlich für Ihre Zeit und den Einblick in Ihre Arbeit. Ich bin sicher, dass wir als Gesellschaft, jeder Einzelne mit ein bisschen Willen, ein größeres Bewusstsein und eine tierfaire Zukunft schaffen können.

Bauernhofpädagogin Charlotte Schlichting mit Kuh
(c) Charlotte Schlichting

Charlotte Schlichting

Kuhverrückt

Bauernhofpädagogin

„Macherin“ mit dem Ziel den Vorwiesenhof als Lern, Therapie und Begegnungsort für Alle zu öffnen

Hobbys: Gemüsebau


Besucht doch mal ihre Webseite

www.vorwiesenhof-schlichting.de

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