Im Gespräch mit…
…Petra Janßen-Wahl vom Gut Aiderbichl
In einer 25-jährigen Tradition verfolgt das Gut Aiderbichl ein Ziel: Das Wohl der Tiere zu schützen. Es freut uns, Ihnen einen neuen Gesprächspartner vorstellen zu dürfen: Petra Janßen-Wahl vom Gut Aiderbichl. Mit 31 verschiedenen Heimathöfen in sechs europäischen Ländern gelingt es dem Gut Aiderbichl, fast 9000 gerettete Tiere 365 Tage im Jahr zu versorgen und ihnen eine tiergerechte Zukunft zu bieten. Der Einsatz und die Leidenschaft, mit der sich die unzähligen Mitarbeiter um die Gesundheit der aufgenommenen Tiere kümmern, verdienen großen Respekt und den Dank von uns allen.
Mit Frau Janßen-Wahl bekommen wir die Gelegenheit, einen Einblick in die tägliche Arbeit auf den Höfen und die verschiedenen Projekte zu erhalten. Mit ihr sprechen wir über die zentrale Rolle, die der Mensch im Tierschutz spielt und darüber, warum der Mensch am meisten davon profitiert. Außerdem erfahren wir, wie es das Gut Aiderbichl schafft, trotz der täglichen Herausforderungen die Tiere in einer tiergerechten Haltung zu versorgen. Besonders spannend wird der Einblick in die betriebsinterne Akademie.
Guten Tag, Frau Janßen-Wahl, zunächst möchte ich mich im Namen des gesamten Tierfair-Teams für Ihre Zeit und im Namen der Tiere für Ihren Einsatz bedanken. Wie werden Sie auf Tiere in Not aufmerksam und wie gelangen die Tiere zu Ihnen auf die Höfe?

Täglich erhalten wir rund 30 Anfragen per E-Mail und Telefon. Kein Tag und kein Fall sind gleich. Manchmal ruft die Feuerwehr an, weil jemand gestorben ist und Tiere tagelang allein in der Wohnung zurückgelassen wurden. Oder eine Familie meldet sich, weil der Nachbar ausgewandert ist und seine Hunde im Zwinger zurückgelassen hat. Ein weiteres Beispiel: Eine ukrainische Familie flüchtet vor dem Krieg und nimmt ihre Katze mit, aber in den Notunterkünften dürfen keine Tiere gehalten werden. In solchen Fällen kommen wir ins Spiel, um den Tieren zu helfen. Wir bekommen auch Anrufe von Amtstierärzten, die uns über vernachlässigte Tiere informieren – wie etwa über 70 Katzen in einem Einfamilienhaus, die krank, ungeimpft und mit Parasiten befallen sind. Ein Sozialamt bat uns um Hilfe, weil in einer Wohnung in Österreich über 300 Wellensittiche untergebracht waren, die nun artgerecht versorgt werden müssen. Und nicht zuletzt gibt es die vielen Anrufe von verzweifelten Tierhaltern, die die Tierarztkosten für ihre kranken Tiere nicht mehr bezahlen können. Diese vielen Schicksale, die uns täglich erreichen, sind erschreckend – und oft verbirgt sich hinter jedem Fall auch ein menschliches Schicksal.
Konnten Sie eine Tendenz im Bereich der Vernachlässigung feststellen? Werden Tiere heute besser geschützt als zu Beginn oder ist die Anzahl der misshandelten Tiere eher gestiegen?

(c) Gut Aiderbichl: Rinder auf Weidegang

(c) Gut Aiderbichl: Ziegen
In der Nutztierhaltung und bei den Transporten gab es in den letzten Jahren tatsächlich Fortschritte. Das öffentliche Interesse am Tierschutz und die Veränderungen in der Lebensmittelindustrie haben viel dazu beigetragen. Immer mehr Landwirte und Metzger melden sich bei uns, weil sie es nicht übers Herz bringen, kranke oder behinderte Tiere zu töten. Diese positiven Entwicklungen sind ein gutes Zeichen. Dennoch gibt es noch viel zu tun, besonders bei den sogenannten „Kuscheltieren“ wie Katzen, Kaninchen und Hunden. Diese Tiere werden oft als Geschenke unterm Weihnachtsbaum verschenkt, landen aber schnell wieder in Tierheimen oder werden ausgesetzt, wenn sie zu viel Aufwand machen. Besonders dramatisch ist die anschließende Vermehrung von nicht kastrierten Streunern. Aus diesem Grund haben wir ein Katzenkastrationsprojekt ins Leben gerufen und setzen uns aktiv für mehr Aufklärung ein.
Sie versorgen auf Ihren Höfen 35 verschiedene Tierarten. Was würden Sie sagen, sind die größten Herausforderungen in der Arbeit mit einer so großen Artenvielfalt?

Ohne unsere großartigen Mitarbeiter könnten wir diese Aufgabe nicht bewältigen. Für jede Tierart haben wir Spezialisten, die auf ihr Verhalten, ihre Pflege und ihre Bedürfnisse spezialisiert sind – von Tierärzten bis hin zu Fachkräften für exotische Tiere wie Dromedare, Waschbären und Tiger. In Wien haben wir sogar Expertinnen für Schimpansen, die ehemals in Laboren für Versuche gehalten wurden. Unsere Landwirte kümmern sich um die artgerechte Haltung von Rindern und Schweinen, die auf das Tierwohlkonzept von Gut Aiderbichl umgestiegen sind. Jede Tierart benötigt spezifische Pflege und ein tiefes Verständnis für ihr Verhalten und ihre Gesundheit. Das bedeutet, dass wir viel Platz auf unseren Höfen brauchen – und ein Team für die Instandhaltung von Ställen, Weiden und Unterständen. Allein am Stammsitz in Henndorf verfügen wir über 110 Hektar. Jedes einzelne Tier wird in der Datenbank geführt, medizinische Betreuung und Transporte geplant, Behandlungen eingetragen, Befunde gespeichert, und nicht zuletzt von knapp 9000 Tieren Fotos gemacht und deren Geschichte auf Schildern verewigt. Jedes Tier hat seine Geschichte, die erzählen wir.
Wie ist die derzeitige Mitarbeitersituation? Haben Sie eine Entwicklung bei der Mitarbeitersuche bemerkt? Fällt es Ihnen leichter oder schwerer im Vergleich zu vor zehn Jahren, und wie hat sich die Mitarbeitermoral über die Jahre verändert?
Die Mitarbeitersuche hat sich nicht wesentlich verbessert. Viele junge Menschen, die zu uns kommen, suchen keine Vollzeitstellen. Doch für die Arbeit mit Tieren ist Konstanz entscheidend. Unsere Tierpfleger entwickeln enge Bindungen zu den Tieren, was sich positiv auf deren Pflege auswirkt. Der Umgang mit Tieren, die teils schlimme Schicksale erlitten haben, erfordert zudem große emotionale Stärke. Es ist eine Arbeit, die entweder geliebt wird oder nicht. Viele Mitarbeiter sind seit zehn und mehr Jahren bei uns und bleiben langfristig, aber viele schaffen es nicht, das erste Jahr zu überstehen. Es ist eine körperlich und emotional fordernde Arbeit. Man könnte auch sagen: Love it, or leave it.

„Auch wenn es gelänge, die Tiere vor uns zu schützen, hätten wir noch nichts erreicht. Erst wenn es gelingt, die Tiere nicht mehr schützen zu müssen, sind wir am Ziel. Dann haben wir etwas verändert: UNS.“ Das Zitat von Michael Aufhauser nimmt nicht nur auf der Webseite, sondern auch in Ihrer Arbeit eine zentrale Bedeutung ein. Bedeutet das, dass wir uns als Menschen verändern müssen, um Tieren tatsächlich helfen zu können?
Ja, genau. Tierschutz bedeutet, dass wir die Tiere vor den Handlungen der Menschen schützen müssen. Dabei geht es um unhaltbare Haltungsbedingungen, unkontrollierte Zucht und die Ausbeutung von stimmlosen Lebewesen. Wir geben den Tieren daher eine Stimme. Die regelrechte Tierschwemme, sei es bei Rindern, Masthühnern, Kaninchen, Katzen, Hunden, ist dem Menschen geschuldet. Die zunehmende Nachfrage nach Billigfleisch und der Mangel an Wissen über artgerechte Haltung und Vermehrung von Haustieren verschärfen diese Problematik. Leider hat sich auch die Wegwerfmentalität durchgesetzt: Tiere werden als „Konsumobjekte“ betrachtet und später entsorgt, wenn sie nicht mehr gewünscht sind. Gezielte Aufklärung nimmt daher einen großen Teil unserer Arbeit ein.
Ihre Höfe sind mehr als eine Versorgungsstelle für verletzte oder gequälte Tiere. Sie interagieren viel mit Menschen und bezeichnen sich selbst als Begegnungsstätte für Mensch und Tier. Wie können Interessierte Kontakt mit den Tieren aufnehmen und welche Wege haben sie, den Tieren eine Stimme zu verleihen und Sie zu unterstützen?

Drei unserer 31 Höfe sind „Begegnungshöfe“, auf denen Besucher unsere freilaufenden Tiere kennenlernen können – ganz ohne Zäune oder Gitter. Auf den Gütern in Henndorf (AT), Iffeldorf und Deggendorf (DE) gehen unsere Schweine, Ziegen, Schafe und Ponys u.v.m. auf die Besucher zu und lassen sich streicheln. Auch Wellensittiche, die sich auf den Händen der Besucher niederlassen und Körner picken, gehören dazu. Jedes Tier hat ein Schild an seiner Box, das seine Geschichte erzählt. Und unser Tourismusteam gibt wunderbare Besucherführungen, um hinter die Kulissen und Tiergeschichten zu blicken. So mancher Gast, der mit Pelzmantel auf unser Gut kam, hat diesen nach unserem Besuch abgelegt. Gut Aiderbichl ist eben eine einzigartige Begegnungsstätte.
Sie vermitteln auch verschiedene Haustiere wie Hunde und Katzen in Sonderpflegeplätze. Was bedeutet das genau und was gibt es für Interessenten zu beachten?
„Sonderpflegeplatz“ bedeutet, dass Tiere, die wir vermitteln, jederzeit zu uns zurückkehren können, falls es im neuen Zuhause zu Problemen kommt. Wir bieten den Tieren ein lebenslanges Zuhause und stehen den neuen Haltern immer mit Rat und Tat zur Seite. Das erfordert von uns eine nachhaltige und vorausschauende Planung, da wir immer Plätze für mögliche Rückkehrer freihalten müssen.
Verantwortungsvoller und nachhaltiger Umgang mit Tieren bedeutet, sich mit den Bedürfnissen der Tiere genau auseinanderzusetzen und zu verstehen, was genau benötigt wird. Um Menschen auf das komplexe Thema Tierschutz vorzubereiten, bieten Sie Kurse in Ihrer hauseigenen Akademie an, um die Verbindung zwischen Mensch, Tier und Umwelt zu stärken. Was genau vermitteln Sie in Ihren Kursen und welchen Vorteil haben Absolventen?
Wir bieten regelmäßig Weiterbildungen für Tierbesitzer und Mitarbeiter. Von Tierhaltung über -pflege, Tierethik und -psychologie bieten wir unterschiedliche Formate und Vorträge, live wie online. Stark nachgefragt sind Hundetrainings und Kurse über richtiges Gassigehen, damit der Mensch mit dem Hund, und nicht der Hund mit dem Menschen spazieren geht. Für Kinder haben wir das Junior Tierpfleger-Programm entwickelt. Sie können die Tierretter von Morgen werden. Sie lernen, was es heißt, Verantwortung für ein Lebewesen zu übernehmen und haben beim Tiere putzen, striegeln, Stall ausmisten richtig viel Spaß. Dazu bekommen sie nach erbrachtem Programm eine Urkunde. Ziel ist es, durch die Mensch-Tier-Beziehung, das Wissen um die Tiere auszubauen und deren Lebensqualität zu fördern.
Über Gut Aiderbichl
Gut Aiderbichl engagiert sich europaweit für den Tierschutz und gibt Tieren eine Stimme. Was 2001 mit dem Begegnungshof in Henndorf bei Salzburg unter Gründer Michael Aufhauser begann, ist mittlerweile eine europaweite Tierschutzgemeinschaft mit 31 Höfen in sechs Ländern Europas – drei Begegnungshöfe für Besucher in Salzburg und Bayern sowie 28 Heimathöfe in Deutschland, Österreich, der Schweiz, Frankreich, Rumänien und Ungarn. Die Ballermann-Ranch in Niedersachsen sowie Gut Aiderbichl Osnabrück, die erste Vermittlungsstation der Tierschutzgemeinschaft, gehören ebenfalls zu diesen 31 Höfen. Insgesamt finden fast 9000 Tiere auf Gut Aiderbichl Zuflucht, Liebe und Pflege. Allein durch Spenden finanziert, ist Gut Aiderbichl seinen Unterstützern sehr dankbar und weiß deren Tierliebe sehr zu schätzen.

Petra Janßen-Wahl
Tierliebhaberin mit einer großen Schwäche für Esel.
Marketing- und Kommunikation sind ihre Leidenschaft, besonders wenn sie den Schwachen dienen.
Sie setzt sich dafür ein, Tieren eine Stimme zu geben.
Hobbys: Sport und mit der Katze kuscheln
Besucht doch mal die Webseite: